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Seitenabstand beim Überholen eines Radfahrers durch einen anderen Radfahrer?
Nach § 5 Abs. 4, S. 3 StVO beträgt beim Überholen mit Kraftfahrzeugen von Fußgängern, Radfahrern und Elektrokleinstfahrzeug Führenden der ausreichende Seitenabstand innerorts mindestens 1,5 m und außerorts mindestens 2 m.
Bei einer Entscheidung des OLG Schleswig war es zu einem Zusammenstoß von Pedelec-Fahrern auf einem Radweg gekommen. Der von hinten kommende Pedelec-Fahrer setzte zum Überholen an und es kam bei diesem Überholvorgang zu einer Berührung, sodass der andere stürzte. Wie genau es zu der Berührung kam, war nachträglich nicht mehr aufzuklären.
Der gestützte Pedelec-Fahrer forderte Schadensersatz und Schmerzensgeld und war der Ansicht, es müsse im Sinne der vorgenannten Vorschrift ein Seitenabstand von 1,5 m eingehalten werden, was hier nicht geschehen sei. Außerdem sei der Überholer verpflichtet gewesen, seine Überholabsicht durch ein Klingeln anzuzeigen.
Diese Auffassung wurde von dem OLG Schleswig nicht geteilt.
Da nicht feststehe, wer den Zusammenstoß verursacht hat, hafte der Überholer nicht. Der Radweg sei mit einer Breite von 2,80 m breit genug gewesen, um Überholen zu können. Bei einem Pedelec handele es sich auch nicht um ein Kraftfahrzeug, weshalb der Seitenabstand von 1,5 m nicht gelte. Hier sei ein ausreichender Seitenabstand von 1 m anzunehmen. Dabei ist der Seitenabstand zwischen den Fahrern zu definieren und nicht zwischen den jeweiligen Fahrradlenkern.
Es besteht auch keine Pflicht, vor einem Überholvorgang zu klingeln. Zwar darf nach § 5 Abs. 5 S. 1 StVO ein Überholvorgang durch Klingeln angekündigt werden. Eine Verpflichtung hierzu ergibt sich nach Auffassung des Oberlandesgerichts aber aus der Vorschrift nicht.
Dass der Überholer den Seitenabstand unterschritten habe, konnte der Gestürzte nicht nachweisen, weshalb er keinen Schadensersatzanspruch durchsetzen konnte.
OLG Schleswig, Urteil vom 19.09.2024, 7 U 29 / 24
Kreuzungsräumer bei ampelgeregelter Kreuzung
Ein PKW-Fahrer, der bei Grün in eine Kreuzung einfährt, braucht zwar im Allgemeinen nicht damit zu rechnen, dass Querverkehr unter Missachtung des für ihn geltenden Rotlichts von der Seite her in die Kreuzung einfährt.
Dieses ihm an sich zustehende Vorfahrtsrecht entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung, den aufgrund vorausgegangener Grünphase in die Kreuzung eingefahrenen Verkehrsteilnehmern, die diese nicht mehr rechtzeitig verlassen konnten, das Vorrecht einzuräumen.
Eine unübersichtliche Kreuzung darf daher auch bei Grün nur vorsichtig mit Anhaltebereitschaft durchfahren werden, weil mit Nachzüglern zu rechnen ist. Auf einen Vertrauensgrundsatz dahingehend, dass sich keine Nachzügler mehr in der Kreuzung aufhalten, kann sich der Einfahrende nicht berufen.
Auf der Basis dieser Grundsätze hatte das saarländische Oberlandesgericht in einer neueren Entscheidung dem Kläger, der bei Grün in die Kreuzung eingefahren war und nach links abbiegen wollte, eine Mithaftung von 1/3 auferlegt, weil ihm aufgrund eines noch in der Kreuzung befindlichen, abbiegenden Lkw die Sicht behindert war, und er deshalb mit einem von links hinter dem Lkw einfahrenden Pkw kollidierte.
Insoweit stand nicht fest, dass die Beklagte ihrerseits bei Rot in die Kreuzung eingefahren war. Aber auch als „echte Nachzüglern“ hätte sie die Kreuzung nur vorsichtig und unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- oder Querverkehrs verlassen dürfen, was zu einem höheren Haftungsanteil auf Ihrer Seite führte.
Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.09.2024, 3 U 28 / 24
Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Die neuere arbeitsgerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass, wenn ein Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem aus seiner Sicht davon auszugehen ist, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kündigung zum Zeitpunkt der Krankschreibung bereits zugegangen ist, ebenso wenig, wie, ob die Kündigungsfrist durch eine oder mehrere Bescheinigungen abgedeckt wird. (BAG Urteil vom 21.08.2024, 5 AZR 248 / 23).
In dem entschiedenen Fall endete das Arbeitsverhältnis aufgrund einer auf den 04.05.2022 datierten ordentlichen eigenen Kündigung der Klägerin. Diese gab sie am 11.5.2022 persönlich bei der Beklagten ab. Sie legte dort für die Zeit vom 05.05.2022 bis zum 15.06.2022, dem Zeitpunkt, an dem das Arbeitsverhältnis beendet wurde, fünf von demselben Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Die Beklagte leistete für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Das Bundesarbeitsgericht hat, soweit die Klägerin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall klageweise verlangt hat, angenommen, dass durch den genannten Sachverhalt der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert wurde. Daher muss Klägerin das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs darlegen und beweisen. Hierzu kann sie insbesondere den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Im entschiedenen Fall ist ihr nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass sie im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig war, sodass die Klage abgewiesen wurde.